Heiter bis sonig - Die vielen Comebacks des Heung-min Son 11FREUNDE

In seiner Wohnung hängt ein Trikot von Didier Drogba. Guy Demel hat es ihm mal geschenkt, da ging es Heung-min Son nicht so gut, denn er hatte sich den Fuß gebrochen. Der Südkoreaner liebt das Trikot. Didier Drogba ist einer der besten Fußballer der Welt, ein Mann, der triumphiert hat, einer, der den Arm um einen legt und das Leben und den Fußball und all den anderen Kram erklärt. Eine Vaterfigur.
Vielleicht braucht Heung-min Son das. Einen Mann an seiner Seite, einen mit Charisma. Ruud van Nistelrooy war so einer. Der Niederländer hatte Son mal als „Zukunft des HSV“ bezeichnet, und nach einem besonders guten Spiel sagte er: „Ich kümmere mich um ihn. Weil er ein guter Junge ist und weil ich früher gerne jemanden gehabt hätte, der sich um mich gekümmert hätte.“ Doch der Mann verließ den HSV 2011 und danach gelang Son nicht mehr viel.
Dabei galt er als der Heilsbringer des Klubs, noch bevor er sein erstes Bundesligaspiel bestritten hatte. Sons Aufstieg erinnerte bisweilen ein bisschen an den von Shinji Kagawa. Der Japaner kam vor der Saison 2010/11 für läppische 350.000 Euro zu Borussia Dortmund und war innerhalb weniger Wochen und zwei Toren gegen Schalke 04 zu einem der begehrtesten Spieler der Welt geworden.
Auch in Hamburg dachten sie vor der Saison 2010/11, einen Wunderknaben aus Fernost verpflichtet zu haben. Heung-min Son war wendig, dribbelstark, torgefährlich, unbekümmert. Das war einer, der für den Erfolg alles tun wollte, einer, der jeden Tag lernen wollte, der Demut kannte, aber Ziele hatte. Einmal sagte er: „Ich will Torschützenkönig werden.“ Zu seinem 18. Geburtstag schenkte ihm der Klub einen Profivertrag.
Heung-min Son war 2008 im Rahmen eines Partnerprogramms mit dem südkoreanischen Fußballverband zum HSV gewechselt. Sechs Talente hatte der Verband damals aus 40 Jugendlichen ausgewählt und nach Nürnberg und Hamburg geschickt. Nur einer blieb: Heung-min Son.
„Das Gesicht unseres Vereins“
Das Fußballspielen hatte er auf einer Fußballschule seines Vaters gelernt. Nach Hamburg kam er ohne seine Eltern und ohn ein Wort Deutsch zu sprechen. Er wohnte anfangs im HSV-Internat in Hamburg-Ochsenzoll, sein Zimmer war 15 Quadratmeter groß, zum Training ging es mit der U‑Bahn. Doch als er seinen Profivertrag unterschrieb, zog er aus, auch weil er Hamburg entdecken und die Sprache lernen wollte. Die Klubbosse jauchzten. „Mit seiner offenen Art ist er das Gesicht unseres Vereins“, sagte der Vorstandsvorsitzende Carl Jarchow einmal.
Son wurde tatsächlich so was wie ein Aushängeschild. Er war ein Typ, der den großen Aufbruch versprach. Ein Talent, das sich, trotz der ungeduldigen Sponsoren, Medien und Entscheidungsträger, endlich mal beim HSV durchsetzen könnte. Da waren sich alle einig.
Dass ein Südkoreaner finanziell lukrativ sein würde, war schon vorher klar. Der Hamburger SV schloss nach seiner Verpflichtung Werbeverträge mit der südkoreanischen Reifenfirma „Kumho Tyres“ und dem Solar-Unternehmen „Hanwha“ ab. Die Deals versprachen Einnahmen von rund drei Millionen Euro.
Heung-min Son machte das Spiel gerne mit. Er war über die Jahre dauerpräsent. In Südkorea stieg er neben Manchester Uniteds Ji-sung Park schnell zum Star auf, der es im fernen Europa geschafft hatte. Heute werden sämtliche Spiele des HSV in seiner Heimat übertragen. In Hamburg schmückte sein Gesicht einmal wochenlang die Plakate einer Image-Kampagne des Klubs. In dieser Sommerpause nahm er mit dem Techno-Musiker H.P. Baxxter von „Scooter“ den Torsong „Always Hamburg“ auf. Son war überall.
Am Anfang gelang ihm fast alles: Er war die große Entdeckung des Sommers 2010, in fünf Testspielen gelangen ihm neun Tore. 1899 Hoffenheim, Bayer Leverkusen und ein paar Klubs aus England sollen angefragt haben. Dann kam das Freundschaftsspiel gegen den FC Chelsea. Son wurde in der 82. Minute eingewechselt, fünf Minuten später spielte er die Star-Defensive der Londoner schwindelig und schoss zum 2:1 ein. Es war sein erstes Tor im Volksparkstadion, knapp 45.000 Zuschauer waren gekommen. Einen solchen Treffer vergisst ein Spieler nie mehr. Doch kurz vor Abpfiff der Partie brach sich Son den Fuß. In der Kabine flossen Tränen.
Als sein Entdecker gilt Ex-HSV-Profi Soner Uysal, heute Co-Trainer der 2. Mannschaft. Damals, nach dem Fußbruch, sagte er über Son im „kicker“: „Er wird besser aus dem ersten Knick rausgekommen als andere.“ Und tatsächlich: Der junge Stürmer kam zurück. Knapp drei Monate nach der Verletzung stand er wieder auf dem Platz, bei seinem Bundesligadebüt gegen den 1. FC Köln schoss er die zwischenzeitliche Führung. Ein Tor, so unbekümmert, so frei von jeder Last. Son rannte in der 24. Minute alleine auf Miro Varvodic zu, lupfte den Ball über den FC-Torhüter und schoss dann ins leere Tor ein. Selbst in Zeitlupe sieht das Tor aus wie in einem Computerspiel. Trainer Armin Veh jubelte: „Den Jungen gebe ich nicht mehr her!“
Nun wollten sie alle von dem kleinen Comeback berichten, doch Heun-min Son verschwand nach dem Spiel einfach in der Kabine. Er durfte nichts sagen. Son war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahren und 114 Tagen und damit der jüngste HSV-Torschütze aller Zeiten. Später sagte er doch was. Zum Beispiel: „Wir Südkoreaner sind sehr fleißig.“ Und: „Ich habe immer Lust auf Fußball.“
„Versuchen, Son die Angst zu nehmen“
Doch danach ging erst einmal nichts mehr. Zwischen Herbst 2010 und Sommer 2012 suchte Heung-min Son sehr häufig seine Leichtigkeit. Er fand sie nur in der Vorbereitung wieder. Im Liga-Total-Cup 2011 zum Beispiel gegen den FC Bayern, als er den Rekordmeister mit zwei Toren im Alleingang erledigte. Jupp Heynckes schwärmte danach: „Ein außergewöhnliches Talent.“ In den ersten Spielen unter Michael Oenning lief es auch noch gut. Dann kam Thorsten Fink, und der HSV steckte im Abstiegskampf. Mit einem Mal wirkte alles, was Son tat, blauäugig und unbeholfen. Die Sprints, die Dribblings, die Schüsse – es sah aus, als mühte sich dort einer, der dieser Bundesliga-Robustheit einfach nicht gewachsen war.
Thorsten Fink sagte zwar, er werde versuchen, „ihm die Angst zu nehmen“, doch Son war bis zum Ende der Saison 2011 hinter erfahrenen Stürmern wie Paolo Guerrero oder Mladen Petric nur noch dritte Wahl. Unter dem neuen Coach machte er fünf Spiele von Beginn, 14 Mal wurde er eingewechselt. Immerhin: Am 15. April schoss Son ein Tor gegen Hannover 96. Es war ein schöner und eine wichtiger Treffer, denn er verhinderte den Abstieg der Hanseaten. Noch so ein kleines Comeback. Doch schon zwei Spieltage später saß er wieder auf der Bank.
In der kompletten Vorbereitung und in den ersten drei Pflichtspielen der aktuellen Saison gelang der Offensive des HSV wenig bis nichts. Artjoms Rudnevs und Marcus Berg blieben bislang ihrer Erstligatauglichkeit schuldig und Son wirkte so gefährlich wie ein Papierflieger bei Windstärke acht. Doch dann, am 31. August, am letzten Tag der Transferperiode, kehrte Rafael van der Vaart zurück. Er sollte den HSV aus dem Abstiegskampf schießen.
Ist das schon ein Comeback?
Comeback ist ein großes Wort im Fußball. Spieler, die über Jahre in der Versenkung verschwunden waren oder mehrere Spielzeiten mit Verletzungen herumplagten, Spieler wie Patrick Helmes oder Sebastian Kehl haben den Aufstieg, den Fall und den erneuten Aufstieg erlebt. Doch Heung-min Son? Er ist vor zwei Monaten 20 Jahre alt geworden. Er erlebt das normale Auf-und-Ab eines jungen Spielers. Doch wenn man so will: Er feiert dieser Tage auch sein drittes Mini-Comeback.
Das erste Spiel mit Rafael van der Vaart gegen Eintracht Frankfurt ging zwar mit 2:3 verloren, aber Son traf wieder. Das Tor sah aus wie das gegen den 1. FC Köln, Son sprintete leichtfüßig auf Kevin Trapp zu und umkurvte den Keeper danach geschickt. Gegen Borussia Dortmund traf Son gleich zweimal. Ein Tor gelang ihm mit einem sehenswerten Fernschuss, das andere in typischer Strafraumstürmermanier. Zwei seiner drei Saisontore bereitete Rafael van der Vaart vor. Der hat bei Real Madrid, Tottenham Hotspur und Ajax Amsterdam gespielt. Er ist einer wie Ruud van Nistelrooy oder Didier Drogba. Einer, der den Raum betritt und die Blicke auf sich zieht. In Hamburg nennen sie ihn Messias. Er kann Son vom Leben und vom Fußball erzählen. Son mag das, und die Hamburger haben berechtigte Hoffnung, dass nun, an der Seite vom großen Van der Vaart, alles gut wird mit ihrem Wunderknaben aus Südkorea. Vor dem heutigen Spiel gegen Borussia Mönchengladbach sagte er: „Vielleicht bin ich ja ein Holländer.“
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeYmra1sdFmmaKrXai8r7XGaGtsa2RqgQ%3D%3D